Leoncavallo

Ruggero Leoncavallo





Ruggero (eigentlich Ruggiero) Leoncavallo wird am 23. April 1857 als Abkömmling einer Landadelsfamilie aus Apulien in Neapel geboren. Sein Vater ist Richter und Magistrat; den Kunstsinn hat er wohl von seiner Mutter, einer geborenen D’Auria, geerbt. Die verschiedenen Versetzungen des Vaters führen Ruggero 1865 nach Montalto Uffugo in Kalabrien, wo sein Vater einen Mordfall zu beurteilen hat, der Leoncavallo später als Hintergrund für seinen Bajazzo („Pagliacci“) dient. In Neapel besucht Leoncavallo das Lyzeum und das Konservatorium. Im Jahr 1876 wechselt er nach Bologna, wo er literarische Studien betreibt. Er wird in der Folge oft sein eigener Librettist sein. Er lernt dort den Literaturprofessor und Dichter Giosuè Carducci kennen und arbeitet an seinen frühesten Opern, die von Richard Wagner beeinflusst sind: Chatterton und I Medici. Nach einem Aufenthalt in Ägypten, wo sein Onkel als hoher Beamter tätig ist, gelangt Leoncavallo 1882 für sechs Jahre nach Paris. Die dortigen Beziehungen und Eindrücke prägen sein späteres Schaffen. Aus der Pariser Zeit stammt die sinfonischeDichtung La nuit de mai.
1888 kehrt er nach Italien zurück und lässt sich in Mailand nieder. Mit den Pagliacci unter der Leitung Arturo Toscaninis erntet er 1892, zwei Jahre nach Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana, seinerseits einen bleibenden Welterfolg. Der Prolog zur Oper Leoncavallos gilt als „Programm“ des Verismus. Es folgt die zweite sinfonische Dichtung, Séraphitus Séraphita. In Konkurrenz zu Giacomo Puccini entsteht „La Bohème und mit Zazà eine weitere französisch inspirierte Oper. (Uraufführung 1900 in Mailand, Dirigent Arturo Toscanini). Der Deutsche Kaiser, Wilhelm II., von „I Medici“ beeindruckt, bestellt die Oper Il Rolando, die im Dezember 1904 uraufgeführt wird. Wilhelm II schenkte Leoncavallo als Dank dafür eine Statue des Roland, die jetzt vor dem Museum steht. (Der Roland von Berlin).
Die erste Anwesenheit Leoncavallos im Tessin datiert vom Anfang der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts. Eva Frassi hat in einem schönen 20-seitigen Heft mit dem Titel: “Ruggero Leoncavallo e il suo soggiorno a Brissago” den Aufenthalt Leoncavallos in Brissago beschrieben. Er verbringt in Vacallo bei Chiasso zusammen mit Puccini eine kurze, jedoch fruchtbare Zeit und arbeitet am „Bajazzo“. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, anlässlich eines Aufenthalts in Cannero im piemontesischen Teil des Lago Maggiore, entdeckt der nunmehr berühmte Leoncavallo auch Brissago; seit 1902 häufig dort, lässt er sich vom Architekten Ferdinando Bernasconi über dem See die diverse Stilmischungen vereinigende (und leider 1978 abgerissene) Villa Myriam bauen, von der dann auch das neue Teatro di Locarno beeinflusst ist, in dem Leoncavallo Anfang April 1904 die „Pagliacci“ inszeniert.
Nach der Rückkehr aus Berlin (Uraufführung Il Rolando) wird ihm Ende 1904 das Ehrenbürgerrecht verliehen. Abgesehen von zwei mehrwöchigen Tourneen durch die USA im Jahre 1906 und 1913 bleibt er denn auch im Tessin bis zum Kriegsjahr 1914. In Brissago komponiert Leoncavallo in Zusammenarbeit mit dem Locarneser Dichter Angelo Nessi die Oper Maià und die Operette Malbruk, die beide 1910 in Rom auf die Bühne gelangen, sowie die Oper Zingari, uraufgeführt in London. Aus der Brissagheser Zeit stammen auch die beiden Operetten La reginetta delle rose und Are you there sowie kunstvolle Kammerarien und Klavierwerke. Am bekanntesten geblieben ist seine unverwüstliche Mattinata. Leoncavallo verbringt die Zeit des ersten Weltkrieges in der Toscana. In diesem Umfeld komponierte er im Jahr 1916 die patriotische Oper Mameli und einige weitere Operetten. Er stirbt am 9. August 1919 in Montecatini Terme. Im Jahr 1920, also nach seinem Tod, gelangt seine letzte Oper König Ödipus zur Aufführung. In den zwanziger Jahren finden auch zwei seiner Operetten den Weg auf die Bühnen.
Leoncavallos Leben und Werk wurden in zwei Büchern dargestellt: Ridi Pagliaccio von Daniele Rubboli (1985, vergriffen) und Leoncavallo, Life and Works von Konrad Dryden (Sancis Verlag Bamberg 2005).

Leoncavallo: Ehrenbürger von Brissago

Das erste Dokument, das die Anwesenheit Leoncavallos in Brissago belegt, geht auf das Jahr 1893 zurück. Das letzte Dokument, dasden Verkauf der Villa Myriam betrifft, stammt aus dem Jahr 1916. Der Aufenthalt des Maestro, zunächst nur sporadisch, später definitiv, umfasst diese Periode und entspricht der kreativsten und wohl wichtigsten Phase seines Schaffens. In diese fallen in der Tat die folgenden Kompositionen: Teile der Bohème, Zazà, Roland, Maia, Malbruk, viele Romanzen, ausgezeichnete Kammermusik sowie weitere Projekte von Opern und Operetten. Leoncavallo hat sich dabei gut in die Realität von Brissago eingelebt; er fühlte sich mit der Bevölkerung und der Intelligenzia des Locarnese verbunden. Seine Villa wurde zu einem Treffpunkt von Bildung und Schöpferkraft, dort trafen sich Künstler aus allen Teilen der Welt: Theaterdirektoren, Schriftsteller, Sänger, Herausgeber (Toscanini, Caruso, Sonzogno …). Die Bürger von Brissago waren sich der Ehre bewusst, die Leoncavallo der Gemeinde durch die Wahl ihres Dorfes als Residenz erwiesen hatte. Ihre Begeisterung über die Erfolge seiner Opern und über seine Anteilnahme am Geschehen im Dorf führte dazu, dass sie ihm das Ehrenbürgerrecht verliehen. Aus Berlin kam die Nachricht vom Erfolg der Première des Roland von Berlin (13. Dezember). Am 16. Dezember begannen enthusiastische Brissaghesi mit einer Unterschriftensammlung für die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes. In nur zwei Tagen wurden die Unterschriften im Dorf und in den Fraktionen gesammelt.


I sottoscritti cittadini di Brissago propongono che venga conferita nell’Assemblea Comunale del 18 corrente la cittadinanza onoraria all’illustre Maestro Ruggero Leoncavallo.
Brissago 16 dicembre 1904

Die unterzeichnenden Bürger von Brissago schlagen vor, dass an der Gemeindeversammlung vom 18. Dezember dem berühmten Maestro Ruggero Leoncavallo das Ehrenbürgerrecht verliehen wird.
Brissago 16.Dezember 1904


In einer Zeitungsmeldungen aus dieser Zeit liest man:
Umgeben von allen seinen Ratskollegen und der Kommission sowie der Fahne der Gemeinde richtet der Gemeindepräsident (Roberto Chiappini) die folgenden Worte an den geehrten Maestro und seine Gattin:

Verehrter Meister!
Brissago, das die Ehre hat, sie als Gast in der Gemeinde zu haben, ist stolz darauf, Sie zum Ehrenbürger zu ernennen. Die Gemeindeversammlung vom 18.Dezember 1904 verleiht Ihnen diesen Titel. Zum Applaus, zur Anerkennung und den Ovationen anderer Völker empfangen Sie auch die Ehrerbietung eines republikanischen Volkes, welches das Genie der Künste zu schätzen weiss. Diese Gemeindefahne wird zum ersten Mal seit ihrer Einweihung in einer öffentlichen Feier entrollt, und dieses erste Mal zu ihren Ehren, Maestro. Mögen Sie sich auch später daran erinnern, und die Erinnerung an Sie wird uns wertvoll sein, ebenso wertvoll wie Ihre Anwesenheit in unserem Dorf. Im Namen von Brissago überreiche ich Ihnen dieses Pergament (der Gemeindepräsident übereicht in diesem Moment dem Maestro auf einem Silbertablett ein kunstvolles Pergamentschriftstück ) während das Dorf mit grossem Interesse an Ihren Erfolgen, Ihren Triumphen teilnimmt.
Der Maestro, sehr bewegt, dankt nacheinander allen Überbringern der Gefühle der Bürger, richtet sich dann an den Gemeindepräsidenten mit den folgenden kurzen, aber eindrücklichen Worten:

Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident
Ich antworte Ihnen, Herr Gemeindepräsident, der dieses mir liebgewordene Dorf vertritt; ich nehme die Worte dieses lieben Mädchens auf, um Ihnen zu sagen, dass mir dieses liebenswürdige und wertvolle Zeugnis von Zuneigung, das Ihr mir mit diesem Ehrenbürgerrecht erwiesen habt, wichtiger ist als der Applaus der Fürsten. Verzeihen Sie, dass ich zu bewegt bin, um all das auszudrücken, was ich sagen möchte, aber seien Sie versichert, dass die Gefühle, die ich für dieses Stück Erde empfinde, das ich als Bleibe gewählt habe, immer gleich bleiben werden. Ich liebe dieses Dorf, das Zeuge ist meiner Träume und meiner Kämpfe, und ich bewundere dieses freie und starke, republikanische Volk. Ich kann nicht sagen, dass ich es liebe wie eine Schwester oder wie das Blut, das in den Venen strömt, wie das Herz, das in meiner Brust schlägt, aber ich werde es lieben, bis ich zum ewigen Schlaf in Eurem bescheidenen Friedhof gerufen werde.

Leoncavallo stirbt in Montecatini im Jahr 1919 und wird in Florenz begraben im Friedhof „Cimitero delle Terre Sante“. Seine sterblichen Überreste werden nach seinem Wunsch, den er bei der Verleihung des Ehrenbürgerechtes ausgedrückt hatte, erst 1989 nach Brissago überführt.



Eine ausführliche Biographie von Ruggero Leoncavallo findet man auf der sehr interessanten Internetseite von Francesco Braghetta unter ruggeroleoncavallo-epistolario.ch